05.02.2020

Netzwerke der Nonnen im Mittelalter: Neue Erkenntnisse über das Klosterleben

Historikerinnen bergen Briefschatz in Lüneburg

Präsentierten Lüner Briefe (von links): Wolfgang Brandis, Archivar für die Lüneburger Klöster; Reinhild Freifrau von der Goltz, Äbtissin des Klosters Lüne, und Professorin Dr. Eva Schlotheuber von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Foto: Kristina Weidelhofer, Klosterkammer

Eine sehr lange Zeit lagen sie im „Dornröschenschlaf“, aufbewahrt im Kloster Lüne in einer Handschriftentruhe: etwa 1.800 Briefe aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Ein Wissenschaftlerinnen-Team macht den Fund aus dem Kloster Lüne erstmals zugänglich und analysiert sie.

Dabei gehen die Forscherinnen und ihr Team um Professorin Dr. Eva Schlotheuber von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und Professorin Dr. Henrike Lähnemann von der University of Oxford unter anderem der Frage nach, wie die Nonnen im Kloster Lüne im Spätmittelalter lebten und ihren Alltag bewältigten, aber auch wie sie in der Reformationszeit den Forderungen der Protestanten nach Auflösung ihrer Gemeinschaft begegneten.

„Die Lüner Benediktinerinnen standen mit allen Kräften der Region – Klerikern wie Laien – in regem Austausch. Dieses Netzwerk wurde in eindrucksvoller Weise aktiviert, als die Frauengemeinschaften mit der Reformation in Existenznot gerieten. Wir können hier in großer Tiefenschärfe die Binnensicht der Frauen auf die einschneidenden Ereignisse und ihre Verteidigungsstrategien fassen. In Umfang und Zuschnitt ist diese Briefsammlung einzigartig“, sagt die Projektleiterin Professorin Dr. Eva Schlotheuber, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Ab zirka 1481 wurden die Lüner Benediktinerinnen im Zuge der spätmittelalterlichen Klosterreform Teil eines dichten Reformnetzwerkes. Die Frauen konnten den Forderungen der Reformatoren standhalten, ehe 1580 die erste lutherische Domina eingesetzt wurde und Lüne seitdem als evangelisches Kloster weiterbestand – bis heute. „Zum Konvent gehören elf Frauen, die in einer geistlichen Gemeinschaft zusammenleben. Besonders innerhalb des Konventes spielt Kommunikation nach wie vor eine wesentliche Rolle“, unterstreicht Reinhild Freifrau von der Goltz, Äbtissin des Klosters Lüne. „Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass die Nonnen schon damals ein enges und so weitgefächertes Netz an Beziehungen aufbauten und dies nicht nur mit den bedeutenden religiösen Institutionen und Einrichtungen ihrer Zeit, sondern auch mit allen wichtigen politischen Kräften in ihrer Region und sogar darüber hinaus“, fährt sie fort.

Wolfgang Brandis, Archivar für die Lüneburger Klöster, entdeckte die Lüner Briefe in den 1990er-Jahren wieder. Er verzeichnete die Bestände neu und berichtete anderen Historikerinnen und Historikern über den Briefschatz aus Lüne. „Professorin Schlotheuber hat als einzige die Bedeutung und den wissenschaftlichen Wert der Briefbücher erkannt und zielstrebig ihre Edition und Erforschung vorangetrieben“, unterstreicht Wolfgang Brandis. Die Briefsammlung und weitere Quellen zur Geschichte des Klosters Lüne werden in einer Online-Edition und gedruckt publiziert. Teile der Edition sind bereits online unter „Netzwerke der Nonnen“ verfügbar.

Die Gerda Henkel Stiftung hat für das Forschungsprojekt Fördermittel in Höhe von rund 330.000 Euro zur Verfügung gestellt.

Die Klosterkammer Hannover ist einerseits als Rechtsaufsicht für das Lüneburger Kloster zuständig und sorgt für den Erhalt des Gebäudeensembles, andererseits tritt sie ebenfalls als Fördermittelgeberin für das Projekt in Erscheinung. Sie förderte die digitale Edition der Briefsammlung, die an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel entsteht, in Höhe von 32.000 Euro, derzeit werden Gespräche über eine Anschlussförderung geführt. (ina)